Nachdem der NSU-Hessen–Abschlussbericht zur Aktenprüfung im LfV-Hessen als geheim
eingestuft wurde und der Öffentlichkeit die nächsten 30 Jahre vorenthalten werden sollte, hat
das ZDF Magazin Royale diesen veröffentlicht. Der Bericht zeigt auf erschreckende Weise,
warum Hessen, und hier als Hochburg der neonazistischen Szene: der Wetteraukreis, von
besonderer Bedeutung im NSU-Komplex sind. Ergänzt wird dies um eine umfassende Analyse
und Kritik zum NSU-Bericht durch Exif–Recherche mit dem Titel: „Der NSU-Geheimbericht:
Zeugnis eines Desasters“.
Die Antifaschistische Bildungsinitiative e. V. recherchiert seit gut 15 Jahren zur extremen
Rechten in Hessen. Sie ist Mitglied im Beratungsnetzwerk Hessen und war unter anderem zu
Expertenanhörungen im hessischen Landtag. Die im Bericht zu findenden Erkenntnisse sowie
die deutlichen Lücken, zeigen, dass die Bedrohung durch Nazis in Hessen erschreckend stark ist
und die Arbeit des Verfassungsschutzes katastrophal war. Es werden im Bericht für Hessen etwa
390 Informationen zu Waffen und Sprengstoff in der Nazi-Szene gelistet. Diese wurden
meistens nicht einmal bearbeitet, geschweige denn verfolgt. Im Bericht ist wenig über den NSU,
jedoch sehr viel über die hessische Naziszene zu finden. Schießtraining, Wehrsport, Waffen,
Terrorkonzepte und Gewalt waren den hessischen Behörden seit langem bekannt, führten
jedoch nicht zu irgendwelchen staatlichen Reaktionen. Mittendrin sind Neonazis aus dem
Wetteraukreis zu finden.
Stefan Jagsch wurde am 15.10.2022 zum neuen NPD-Hessen-Vorsitzenden gewählt. Jagsch wird
mehrfach im NSU-Bericht benannt, u . a. als möglicher Kontakt von Beate Zschäpe. Diese
werden in den Akten als Hinweise auf angebliches Kennverhältnis geführt.
Mehrere Neonazis aus Butzbach und Bad Nauheim waren Besucher des „Braunen Hauses“ in
Jena. Dieses wurde von Ralf Wohlleben geführt, der im Vorstand der NPD Thüringen saß und lt.
Urteil ein Unterstützer des NSU war. Er wurde deshalb 2018 wegen Beihilfe zum Mord in neun
Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Zwei Frauen aus der damaligen
Neonazi-Szene, Alina und L. aus Butzbach, versuchten später in Jena sich in die Antifa-Szene
einzuschleusen. Beide wurden dem Umfeld des „Braunen Hauses“ in Jena zugeordnet.
Auch der Bad Nauheimer Eishockeyfan und langjähriger Neonazi-Aktivist Gordon E. wird im
Bericht namentlich erwähnt. Zusätzlich war er z . B., laut Bericht, am 19.02.2011 mit weiteren
Neonazis auf der Anreise nach Dresden. Dies wird im Kontext der militanten rechtsextremen
Gruppe „Block F“ gelistet.
Im Bericht wird mehrfach auf das rechtsextreme Netzwerk „Sturm 18“ hingewiesen. Die Zahl 18
wird von Nazis als Code für Adolf Hitler verwendet. Ein führender Aktivist des Netzwerkes,
Rene, kommt aus dem Wetteraukreis. „Sturm 18“ wurde 2015 vom hessischen Innenministerium
verboten. Den Mitgliedern wurden über 300 Straftaten vorgeworfen, der Gründer, Bernd T., hat
einen Obdachlosen ermordet. Gegen ihn wurde später wegen Vergewaltigung und schwerer
Körperverletzung ermittelt.
Marcel Wöll, der ehem. Vorsitzende der Hessen NPD, wurde u . a. wegen der Holocaust-
Leugnung im Wetterauer Kreistag als NPD-Abgeordneter rechtskräftig verurteilt. Auch Wöll
wird im Bericht namentlich erwähnt. Er war mehrfach wegen Körperverletzung vor Gericht.
Marcel Wöll Betrieb von 2005 bis 2008 ein rechtsextremes Wohnprojekt und Schulungszentrum
in Butzbach (Hoch-Weisel). In der Zeit gab es Bedrohungen und Übergriffe auf alternative
Jugendliche und demokratisch eingestellte Menschen in Butzbach. Marcel Wöll wird in dem
Bericht als möglicher Teilnehmer von Schießübungen in Eger und einer Fahrt zur Schießübung
nach Tschechien benannt. Auch weitere Wetterau Neonazis wurden bei Schießübungen
gesichtet. Im Bericht steht, dass laut xxx kenne sich Wöll, Marcel sehr gut mit Waffen aus
und erwähne auch Begriffe wie „Zellen bilden“ und „Treueschwur mit eigenem Blut“.
In Echzell gab es eine Hofreite aus dem Kontext der sog. „Old Brothers“. Der erste Old-Brothers-
Laden wurde als »Combat 18 Supporters Shop« geführt. „Combat 18“ ist der militante Arm des
in Deutschland verbotenen militanten „Blood and Honour“ Neonazi-Netzwerkes. Gegen die
Gruppe und ihren Chef Schlitzer wurde umfangreich, auch wegen Waffen, ermittelt und
mehrjährige Haftstrafen ausgesprochen.
In Butzbach im Wetteraukreis gab es mit „Volksfront Medien“ bzw. „Media pro Patria“
bundesweit bedeutende Neonazi-Video-Portale. Mit Titeln wie „Deutscher, Augen auf, Du bist
im Krieg“ wurden vor allem militante und aktionsorientierte Neonazis angesprochen. Die
Macher kamen aus dem Umfeld von Marcel Wölls „Nationalem Zentrum“ in Butzbach Hoch-
Weisel. Kevin S., einer der Butzbacher Akteure, hatte nicht nur Kontakte nach Jena. Gegen ihn
wurde auch wegen versuchten Mordes mit einem Klappspaten an einer 13-Jährigen ermittelt. Er
wurde hierfür zu zwei Jahren Haft verurteilt.
Im Bericht ist am 07.07.2004 eine Sonnenwendfeier der „Stimme der Revolte“ und des
„Nationalen Freundeskreises Wetterau“ erwähnt.
Am 22.11.2008 war Thorsten Heise, einer der bundesweit führenden militanten Neonazis und
auf – laut seines Wikipedia-Eintrages – einer Liste „mit nachgewiesenen Kontakten zu Tätern
oder Beschuldigten“ im NSU-Prozess geführt, Redner in Wölfersheim.
Im Bericht wird mehrfach die NPD Wetterau erwähnt . Mehrfach werden auch Waffen bzw.
Waffenbezug im Wetteraukreis erwähnt. Mehrere Neonazis aus der Wetterau haben legal
Waffen besessen, ergänzend wurde regelmäßig über illegale Waffen berichtet.
Im Bericht werden auch Aktive des NPD-Ordnerdienstes erwähnt. Dieser wurde oft von zwei
Brüdern aus Bad Nauheim durchgeführt. Im Bericht steht „über xxx wird bekannt, dass dieser
Führer des NPD-Ordnerdienstes in der Region Wetterau sei.“.
Die im Bericht aufgeführten und dort nicht aufgeführten und ergänzten Vorfälle zeigen, dass
der Wetteraukreis, auch in Bezug auf militante Neonazis, eine bundesweite Hochburg darstellt.
Die Fälle zeigen nur einen kleinen Teil dieser Szene. Das Dunkelfeld ist sicherlich deutlich
größer. Die Akteure sind untereinander und bundesweit gut vernetzt und stellen nicht nur eine
Bedrohung unserer Demokratie dar, sondern gefährden auch Menschenleben. Die
Antifaschistische Bildungsinitiative e.V. bedankt sich bei allen Einzelpersonen und
Organisationen, die sich im Wetteraukreis gegen neonazistische und menschenverachtende
Umtriebe engagieren und sich für Demokratie einsetzen. Dies ist und bleibt ein demokratischer
Auftrag!
Presse – Veröffentlichungen:
Quellen:
https://www.fr.de/politik/netzwerk-nsu-terroristen-11189957.html
https://www.antifainfoblatt.de/artikel/beinahe-mord-durch-neonazi
https://www.fr.de/rhein-main/haft-rechtsradikalen-schlaeger-11528587.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Marcel_W%C3%B6ll
https://de.wikipedia.org/wiki/Thorsten_Heise
NPD Hessen Neuwahl: http://www.npd-hessen.de/index.php/menue/63/thema/69/id/3633/anzeigemonat/10/akat/1/anzeigejahr/2022/infotext/NPD_Hessen_fuehrt_Landesparteitag_durch_Stefan_Jagsch_einstimmig_als_Vorsitzender_gewaehlt/Bundesweite_Nachrichten.html