Während ganz Deutschland gebannt auf den Ukrainekrieg blickt, erinnern die mutigen Proteste im Iran daran, dass es auch außerhalb Europas brutal vorgehende, frauen- und minderheitenfeindliche Regime gibt.
Was viele nicht wissen: Diese können sich auf politische und wirtschaftliche Hilfe deutscher Firmen, Politiker:innen und Parteien stützen. Wer hat mitbekommen, dass ein deutscher Politiker Wahlergebnisse eines anderen Landes annulliert hat, deutsche Banken über die Wahl von Rechtsextremisten jubelten, deutsche Behörden von Geflüchteten verlangen, sich in die Hände ihrer Verfolger:innen zu begeben, deutsche High-Tech-Firmen Technik lieferten mit deren Hilfe Akteur:innen überwacht und verfolgt werden?
Wir wollen mit unserer diesjährigen Vortragsreihe einen Blick auf einige dieser Regionen werfen und fragen, wie aufgeklärte, emanzipatorische Politik vor Ort aussieht. Die Vorträge beschreiben daher zunächst die agierenden Kräfte und anschließend deren deutsche Beteiligung, um sich der Antwort zu nähern, welches die eigentlichen demokratischen Akteur:innen sind, wofür sie kämpfen und wie sie unterstützt werden können.
Vorträge
Der lange Arm der Mullahs – Irans Einfluss in Deutschland
(27.11.2022 // 15 Uhr) Junity Friedberg Burgfeldstraße 19, 61169 Friedberg
Nach dem die iranische Kurdin Jina Amini im September an den Folgen der Misshandlungen durch die Moralpolizei starb, begann in Iran eine Protestwelle bisher ungekannten Ausmaßes: Hundertausende Iraner*innen fordern trotz massiver Repression das Ende der „Islamischen Republik“. Die schiitische Theokratie unterdrückt nicht nur brutal alle Freiheitsbestrebungen im Inneren, sondern hat – besonders nach dem weitgehenden Wegfall der Sanktionen im Zuge des Abschlusses des sog. „Atom-Deals“ 2015 – ein massives Expansionsprogramm in der Region gestartet. Nicht nur unzählige Iraner*innen haben deswegen ihre Heimat verlassen müssen, auch die Flucht vieler Syrer*innen, Iraker*innen und Kurd*innen ist die Folge ihrer Politik.
Doch der lange Arm der Mullahs reicht auch bis nach Deutschland. Dass Menschen selbst im Ausland nicht vor dem Regime sicher sind, ist keine Seltenheit. Iran unterhält ein internationales Netzwerk von Gruppen und Organisationen, die versuchen in den jeweiligen Gesellschaften Einfluss zu nehmen und gleichzeitig Geflüchtete und Oppositionelle unter Druck setzen und bedrohen.
Bijan Hassan Pour-Razavi wird seinen im kürzlich veröffentlichten Sammelband „Endlich in Sicherheit? Bedrohung von Geflüchteten in Deutschland durch transnationale Netzwerke“ erschienenen Beitrag vorstellen und einen Überblick über (pro)iranische Netzwerke in Deutschland geben. Der Band wird außerdem von der Herausgeberin Randi Becker vorgestellt werden.
Zum Referierenden:
Bijan Hassan Pour-Razavi hat Politik und Geschichte studiert und arbeitet im Kompetenznetzwerk Antisemitismus sowie freiberuflich in der politischen Bildung vornehmlich zu Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus. Er gehörte zu den Mitgründer:innen des Vereins an.ge.kommen e.V. in Gießen und leitete dort mehrere Jahre die Unterstützungssprechstunden und Begleitungen für Geflüchtete. Mit der Green Party of Iran und der Initiative „Free Iran Now“ Kassel setzt er sich für die Aufklärung über die Situation in Iran ein.
Facebook – Event: https://www.facebook.com/events/656128896217867/?ref=newsfeed
Film: Persepolis
(30.11.2022 // 18:30 Uhr) Junity Friedberg Burgfeldstraße 19, 61169 Friedberg
Basierend auf den gleichnamigen, kultverdächtigen Comic-Romanen, handelt der Film von der Lebensgeschichte der jungen Iranerin Marjane Satrapi und wirft zugleich eine humorvolle und sehr kritische Betrachtung auf die jüngste Historie Persiens.
Marjane ist acht Jahre alt, als der Schah aus dem Iran vertrieben wird und die Mullahs die Macht an sich reißen. Fortschritt und Freiheit bleiben auf der Strecke, als im Zuge der Islamischen Revolution Tausende im Gefängnis landen und Frauen gezwungen werden Kopftücher zu tragen. Doch die rebellische Marjane denkt gar nicht daran, sich dem rigiden Regelwerk zu unterwerfen. Viel lieber entdeckt sie Punk, ABBA und Iron Maiden und macht erste Erfahrungen mit Jungs. Sie ahnt nicht, dass ihr spielerischer Protest gefährlich ist – nicht nur für sie selbst, sondern auch für ihre Familie. Doch spiegeln sich in ihrer kindlichen Naivität auch die Hoffnungen des ganzen Volkes…
Facebook – Veranstaltung: https://www.facebook.com/events/8342857565756017/?ref=newsfeed
Im Balkan nichts Neues
(02.12.2022 // 18 Uhr) Junity Friedberg Burgfeldstraße 19, 61169 Friedberg
“Demokratie, die. Substantiv, feminin. Politisches Prinzip, nach dem das Volk durch freie Wahlen an der Machtausübung im Staat teilhat. Regierungssystem, in dem die vom Volk gewählten Vertreter die Herrschaft ausüben.“ – das sagt zumindest der Duden. Demokratie als Staatsräson scheint des Westens höchstes Gut. Und doch scheinen EU, und Deutschland im Besonderen, manche Demokratien für mündiger als andere zu halten; Staaten als souveräner als andere. Was passiert eigentlich, wenn westlicher Paternalismus und vermeintliche Pulverfässer aufeinandertreffen? Der Südwestbalkan könnte hierzu einiges berichten – nur seit 30 Jahren wenig Neues. Höchste Zeit, sich diese nur vage definierbare Region näher anzusehen und westliche Einflüsse kritisch zu hinterfragen.
Zur Refentin: Pina Heinen studierte Soziologie und Gender Studies in Frankfurt. Dort schloss sie ihr Studium mit einer empirischen Untersuchung über Geschichtsmythen im kroatischen Bildungssystem ab. Daneben ist sie für die Jugendbildung der BS Anne Frank zuständig und referiert zu Themen wie Antifeminismus, Antisemitismus und Autoritarismus mit den Schwerpunkten Popkultur, Internet und Südosteuropa.
Facebook – Event: https://www.facebook.com/events/424846233179995/?ref=newsfeed
Brasiliens Zerreißprobe – Klima und Demokratie
(09.12.2022 // 18 Uhr) Junity Friedberg Burgfeldstraße 19, 61169 Friedberg
Als das größte Land in Lateinamerika ist Brasilien auch eine der größten Demokratien der Welt.
Das Erbe des Kolonialismus spielt dennoch eine große Rolle in der brasilianischen Politik und ist auch ein Grund für den Zerfall der Demokratie durch die Ausbreitung von religiöser Intoleranz und Diskriminierungen. Das zeigt sich sowohl in den Favelas, als auch den Verheerungen durch die Coronapandemie und den Auseinandersetzungen um die Präsidentschaft, in der totgeglaubte Ideologien wieder Morgenluft witterten und sich anschicken den Staat an sich zu reißen. Doch: Die Zivilgesellschaft ist nicht ohnmächtig, sondern zeigte bei mehr als einer Gelegenheit, dass sie bereit ist, erkämpfte Erfolge zu verteidigen und begonnene Kämpfe zu gewinnen.
Zur Referentin: Ana Graça Correia Wittkowski studierte portugiesische Sprache und Literatur in Brasilien und Ethnologie und Lusitanistik in Mainz. Seit 2015 ist sie Interkulturelle Pädagogische Fachkraft und seit 2018 Elternbegleiterin/Beraterin. Außerdem arbeitet sie als Referentin zu Themen wie Kolonialismus und Diskriminierungsformen und ist Gründerin des deutsch-brasilianischen Kulturvereins BrasilNilê e.V.. Vor Kurzem hat sie mit dem Schwarze Frauen Kollektiv das Buch „Wo wir sprechen“ von Djamila Ribeiro auf Deutsch herausgegeben.
Facebook – Event: https://www.facebook.com/events/424846233179995/?ref=newsfeed
Die Veranstalter*innen behalten sich gem. § 6 VersG vor, von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen und Personen, die neonazistischen Organisationen angehören oder der extremen rechten Szene zuzuordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch antisemitische, rassistische oder nationalistische Äußerungen in Erscheinung getreten sind, den Zutritt zur Veranstaltung zu verwehren.
Vorlagen zum runterladen und verbreiten:
Am Sonntag, den 27.11., startete die Veranstaltungsreihe „Demokratischer Aufbruch in vergessenen Regionen“ der Antifaschistischen Bildungsinitiative e.V. in Friedberg mit dem Vortrag „Der lange Arm der Mullahs – Irans Einfluss in Deutschland“.
Im Junity in Friedberg hat der Referent Bijan Hassan Pour-Razavi eindrucksvoll und informativ am Beispiel des Irans ausgeführt, wie ein totalitärer, islamistischer Staat mit seinen Bürgern und Bürgerinnen verfährt. Nicht nur Frauen, ethnische oder politische Minderheiten sind von Repressionen bedroht, auch nicht-schiitische Gläubige oder Atheisten können jederzeit staatlichen Gewaltsanktionen ausgeliefert sein. Es wurde in dieser Veranstaltung deutlich, dass die mutigen Menschen, vor allem die Frauen, im Iran z. Z. ihre Unversehrtheit riskieren, um den Missständen entgegenzutreten.
Umso stärker verwunderte es, zu hören, dass staatsnahe Kräfte des Iran in der BRD iranische
Exilanten und Exilantinnen bedrohen und beeinflussen. Geflüchtete berichten in Interviews mit dem Referenten von Drohungen gegen Leib, Leben und Familie. Man könnte
annehmen, im Hoheitsgebiet des deutschen Staates seien die Geflüchteten sicher. Die Realität sieht für viele leider anders aus. Die Staatsorgane kategorisieren zu schnell in „iranisch, muslimisch“, ohne zwischen Unterstützern der Diktatur und den verfolgten Demokratie-Aktivisten zu unterscheiden. So gibt es Ängste in Unterkünften oder bei gemäßigten Gläubigen. Zudem scheint sich der deutsche Staat zu oft auf die von staatlich-iranischer Seite unterstützten Organisationen in Fragen der Integration zu stützen (Islamisches Zentrum Hamburg e. V., Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands e. V.).
In den Gesprächen am Schluss der Veranstaltung fragte man sich, ob der deutsche Staat zumindest auf eigenem Hoheitsgebiet die Rechte geflüchteter Menschen stärker schützen müsste. Näheres kann man nachlesen in dem Buch: Endlich in Sicherheit? Bedrohung von Geflüchteten in Deutschland durch transnationale Netzwerke, welches von Randi Becker und Philipp Wilhelm Kranemann erst kürzlich herausgegeben wurde (ISBN: 978-3-00-072777-1).
Die nächste Veranstaltung in der Reihe findet am Mittwoch, den 30.11. um 18:30 Uhr im Junity statt. Es wird der Film „Persepolis“ gezeigt. Ein Animationsfilm, der die Zeit der sogenannten iranischen Revolution aus der Sicht eines Mädchens schildert. Am Freitag, den 02.12. geht es im Vortrag „Im Balkan nichts Neues“ dann um den Südwestbalkan. Mehr Informationen zu den einzelnen Veranstaltungen sind auf www.antifa-bi.de zu finden.